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Waren Sie schon einmal in Liberia? Rendel Freude nimmt sie mit. Zwei Wochen lang reiste sie durch das kleine Land an der Westküste Afrikas, das zwischen der Elfenbeinküste und Sierra Leone liegt, im Norden begrenzt von Guinea.
Rund dreieinhalb Millionen Einwohner zählt Liberia, davon lebt schätzungsweise eine Million in der Hauptstadt Monrovia. Im Durchschnitt gebärt eine Liberianerin sechs, sieben Kinder, doch aufgrund der hohen Kindersterblichkeit und der geringen Lebenserwartung – sie liegt bei 58 Jahren – liegt das Bevölkerungswachstum bei unter drei Prozent. Die Bevölkerung leidet unter großen Entbehrungen; Liberia gilt derzeit als zweitärmstes Land der Welt. Und von Frauen und ihre großen Entbehrungen geht es in dem Buch hauptsächlich.
Rendel Freude begleitete Mitarbeiterinnen von ‚medica mondiale’, einer Nichtregierungsorganisation, die sich in Afrika und anderen Krisen- und Kriegsregionen für Frauen und Mädchen einsetzt, die Folter und Vergewaltigung erlebt haben. Sie fotografierte in Dörfern des Regierungsdistrikts Grand Gedeh County, der an die Elfenbeinküste grenzt. Von dort waren im November 2010 weit über 200.000 Menschen nach Liberia geflüchtet, um sich vor dem Bürgerkrieg während der Präsidentschaftswahlen in Sicherheit zu bringen. 60.000 lebten Anfang 2012 immer noch in Liberia, doch das Land ist mit dieser Menge überfordert – die Nahrungsmittel sind knapp und die KleinbäuerInnen kämpfen ums Überleben.
Die Fotos erzählen davon: Lehmhütten unter Palmen, ein Marktplatz ohne Markt, dafür mit einer Versammlung: Die Dorfsprecherinnen fordern von den Hilfsorganisationen zusätzliche Nahrungsmittellieferungen. Die Versammlung besteht nahezu nur aus Flüchtlingsfrauen, hier und da ein Mann, einige Kinder dazwischen. Die Stimmung ist konzentriert, ernst. Einige Frauen haben müde, beschwerte Gesichter, den Blick ins Ungewisse. Keine Verzweiflung. Frauen im Kampf um alltägliche Dinge, aber auch Frauen in Arbeit mit sich selbst.
Ein anderes Dorf, eine andere Geschichte, zeigt die seelischen Furchen: medica mondiale führt mit liberianischen Frauen einen Workshop zu „geschlechtsbezogener sexueller Gewalt” durch. Beim Anblick der Bilder verwandelt sich dieses deutsch-bürokratische Wortungetüm in Fleisch und Blut. Im liberianischen Bürgerkrieg – er dauerte 15 Jahre und zählt zu den fürchterlichsten, die Afrika je erlebt hat, erlebten zwei Drittel der Liberianerinnen sexuelle Gewalt – als Teil einer pervers-militärischen Strategie. Die Fotos zeigen Frauen, die miteinander sprechen; ernst, manche teilnahmslos. Graue Geschichten in bunten Kleidern. Als Betrachterin denke ich, dass es Jahre dauern würde, das Ausmaß der Erlebnisse zu verstehen, so unterschiedlich sind unsere Welten.
Dann Straßenimpressionen aus Zwedru, der Provinzhauptstadt von Grand Gedeh County: Pulsierendes Leben und buntes Treiben, Frauen beim Nähen und auf dem Markt beim Einkaufen, Männer auf Mopeds, Männer beim Geldzählen, Männer beim Spielen: eine fast heitere Atmosphäre, und das tut dann gut am Ende eines Fotobandes, der einen auf unbekanntes Terrain geführt hat.
Fazit: Mit ihrem Buch hat Rendel Freude den Frauen in Liberia ein Gesicht gegeben. Ihre Bilder zeigen Alltagsszenen vom Leben nach Gewalterfahrungen, oder besser: mit denselben, denn diese tiefen Verletzungen von Körper und Seele, der Verlust von Hab und Gut, von Angehörigen, das kann nie Vergangenheit werden. ‚In Liberia’ ist ein Buch, das es versteht, mit Bildern Geschichten zu erzählen. Bilder, die nicht den einzigen, unwiederbringlichen Augenblick suchen, sondern deren Menschlichkeit beeindruckt. Das Leben, wie es ist. Und es ist veränderlich. Und so wirkt das Buch hoffnungsvoll – Zukunft ist möglich.
Rezension von Hannelore Herlan