„Erst wenn ich mir selbst in die Augen schauen kann, bin ich in der Lage andere zu sehen wie sie sind“. So beschreibt die 20-jährige Divine den BesucherInnen ihre Fotoserie – und was Frieden und Versöhnung für sie bedeuten: Frieden mit sich ermöglicht es, auf andere zugehen zu können, die Hand auszustrecken und ein Gemeinsames aufzubauen. Eine Ausstellung mit Arbeiten der 15 TeilnehmerInnen ist das sichtbare und öffentliche Ergebnis des Workshops in Ruanda.
Fünf Tage hatten wir im Workshop Zeit miteinander – und nach einer Woche Pause, um die Bilder entwickeln zu lassen – einen Tag zum Hängen der Bilder und sonntags Ausstellung in den Räumen von NEVER AGAIN RWANDA (NAR) in Huye, einer Universitätsstadt im Süden Ruandas. NAR ist eine lokale Jugendorganisation, 1994 nach dem Genozid gegründet, mit den Themen Friedensbildung und Konfliktbewältigung. Letztes Jahr hatte ich sie in anderem Zusammenhang kennengelernt und die Idee, einen Fotoworkshop anzubieten. Die FREELENS foundation hat meine Anfrage auf Projektförderung sofort mit JA beantwortet und alles Nötige unkompliziert und großzügig abgewickelt.
Montags erwarten mich morgens zehn junge Erwachsene im Alter von 16–29 Jahren, alle Highschool- und UnistudentInnen und UnterstützerInnen des Vereins NEVER AGAIN RWANDA, zwei von ihnen aus Burundi, einer aus dem Kongo, alle anderen aus Ruanda. Fünf Weitere gehören zum Staff von NAR, sie wollen den Kurs dafür nutzen, später selber Workshops anbieten zu können.
Alle sind gut sortiert und es werden diverse Gruppenregeln aufgestellt: Andere aussprechen lassen, nur positiv Kritik üben, Handys bleiben leise gestellt und in den Taschen. Ein Time-Keeper, eine Chef-du-Village (aus Gleichheitsgründen muss es eine Frau sein), ein Logistiker werden ausgewählt. Wortreiches Willkommen und Freude über die Möglichkeiten, die sich diese Woche eröffnen werden. Vorstellungsrunde der TeilnehmerInnen, des Vereins, der Fotografin (und was ist ihr Plan für diese Woche) und von Kristin Kunze, meiner Mitreisenden und professionellen Clownin, zuständig für Icebreaker-Übungen. So sind wir ein gutes Team zum Sehen und Bewegen in allen Richtungen.
Nach Erledigung aller Formalitäten können endlich die Kameras ausgepackt werden: die FREELENS foundation hat fünf einfache Kameras, eine Festplatte für den zu erwartenden Bilderberg und die Logistik für die Ausstellung (Rahmen und Abzüge) finanziert. NAR hat bei Bekannten noch ein paar Kameras ausgeliehen und so können in der Woche sieben Zweiterteams miteinander arbeiten.
Einige haben noch nie eine Kamera in der Hand gehabt, Andere sagen in der Vorstellungsrunde, sie können fotografieren. So helfen sie sich beim Auspacken und ersten Anschauen gegenseitig. Akku rein, Speicherkarte rein, Anschalten!
Erste Versuche, zu fotografieren: Fokussiere ein beliebiges Objekt und achte darauf, dass es scharf eingestellt ist. Was ist Blende, was ist Zeit, was ist ein Sensor.
Nachmittags fangen die Köpfe an zu rauchen: wir brauchen ein inhaltliches Thema für die Woche und die Ausstellung. NEVER AGAIN RWANDA, insbesondere der im fernen Kigali sitzende Vereinsvorstand hat ein großes Interesse an pädagogisch-vereinsangemessenen Inhalten. Jeweils zwei TeilnehmerInnen werden ein Team und brainstormen mit den Begriffen wie Friedensarbeit, Versöhnung, Art for Peace, Talking silence und wie sich das in Bilder umsetzen lässt.
Zum Tagesende brauchen alle Auflockerung und Kristin beginnt mit Bewegung und Gesang die TeilnehmerInnen zu einer Gruppe zusammenzufügen.
Der Dienstag ist für Gestaltungsgrundlagen und viele Übungen reserviert. Was passt besser: Hoch- oder Querformat? Was ist Vorder- und Hintergrund? Was macht Schärfe/Unschärfe im Bild? Das Fotomodell soll Emotionen zeigen. Fotografiere Strukturen und Linien, keine Menschen. Bei allen Übungen gilt: Fotografiere soviel du willst und bringe am Ende nur drei Aufnahmen mit (das ist nicht so einfach). Per Beamer gibt es mehrere Runden mit Sehen und Besprechen der aufgenommenen Bilder – und auch viele Lichtblicke in den Gesichtern der lernenden FotografInnen. Mir war an diesem Tag wichtig, den TNs nahezubringen, dass Fotografieren nicht über das Auslösen getan ist, sondern dass Sehen, Fühlen und Denken die wichtigen Grundlagen sind (nutzt euren Kopf und euer Herz und es gibt viele Wege um ein Ergebnis zu finden).
Die TeilnehmerInnen besprechen nachmittags in ihren Teams, welche konkreten Dinge sie während der Projekttage Mittwoch und Donnerstag fotografieren wollen.
An beiden Tagen haben die TeilnehmerInnen Zeit, in Huye unterwegs zu sein und frei zu fotografieren. Mittwochnachmittags mache ich mit allen individuelle Bildbesprechungen: Was wolltet ihr fotografieren, seid ihr mit den Ergebnissen froh, was hätte die Aussage von diesem oder jenem Bild verändert? Mit den Ergebnissen und neuen Anregungen sind die Gruppen am Donnerstag wieder unterwegs – und sie machen in den zwei Tagen 1500 Aufnahmen.
Donnerstagnacht verbringe ich am Rechner und stelle für jede Gruppe zwei Fünferserien für die Ausstellung zusammen.
Freitags werden die Ergebnisse präsentiert, besprochen, bewundert. Alle Gruppen können entscheiden, welche ihrer beiden Serien ihnen besser gefällt und diese für die Ausstellung auswählen. Manche entscheiden sich, noch etwas zu mischen. Für drei TeilnehmerInnen mache ich nachmittags eine kleine Einführung in die Programme Picasa und Gimp – beide Programme sind umsonst zu laden und brauchbar für Bildorganisation und ‑bearbeitung.
Die TeilnehmerInnen beschreiben nach den fünf Tagen: sie haben gewusst, dass man fürs Fotografieren auf einen Knopf drücken muss und das war alles. Nun haben sie ein Verständnis dafür entwickelt, was SEHEN bedeuten kann und dass dafür nicht nur das Auge, sondern auch die FotografIn selbst zuständig ist.
Alle TeilnehmerInnen erhalten ein Zertifikat für ihre Teilnahme und ein grünes T‑Shirt mit den Logos der FREELENS foundation, von NEVER AGAIN RWANDA und dem ZIVILEN FRIEDENSDIENST (ZFD) aus Deutschland, der NAR in Ruanda beratend zur Seite steht.
Am Wochenende bearbeite ich die sieben Serien und Portraits der TeilnehmerInnen für den Druck. Eine CD wird per „Bus-Post“ nach Kigali transportiert und in der folgenden Woche macht ein Labor die Abzüge (die eine Hälfte muss reklamiert und neu gedruckt werden). Die Rahmen werden ebenfalls in Kigali gekauft und von Irene Erben vom ZFD wieder nach Huye gefahren. Samstags treffen sich einige TeilnehmerInnen für die Ausstellungsvorbereitung: Rahmen putzen (es gibt keinen Glasreiniger in Huye zu kaufen, also müssen Alternativen gefunden werden – und natürlich werden sie gefunden) und Bilder hängen. Die Wand ist aus Beton und die Nägel so biegsam wie Gummi. Trotzdem hängen nach einigen Stunden alle Serien an der Wand – die Portraits stehen im Kreis auf dem Boden.
Sonntags sind alle aufgerufen, um neun im Ausstellungsraum anzukommen. Diejenigen, die am Samstag noch nicht da waren gehen in den Raum, sehen das erste Mal ihre Bilder in Rahmen hängen und es ist ihnen viel Stolz und Freude anzusehen.
Es werden die Aufgaben des Tages verteilt: BesucherInnen empfangen, Listen mit deren Namen und Adressen füllen, in der Ausstellung erklären, worum es den FotografInnen ging (eine für alle erschöpfende Tätigkeit, von morgens bis nachmittags immer wieder dieselbe Runde zu drehen).
Nachmittags sind alle für eine Diskussionsrunde eingeladen – TeilnehmerInnen und BesucherInnen sitzen im Kreis und geben Statements zu Bildern, Frieden und Entwicklung.
Es braucht Bewegung! Wir beenden unsere Ausstellung mit dem Kreistanz und Gesang „Bele Mama“ und danach Disko für alle. Die Ausstellung wird Mitte Dezember nocheinmal in Huye gezeigt – in offiziellem Rahmen in der Stadthalle von Huye.
Wie es weitergeht? NAR verleiht die Kameras an die TeilnehmerInnen, wenn sie eigene Projekte starten wollen. Wir wollen dass es Folgeworkshops geben wird. Zur Zeit recherchieren wir sinnvolle Möglichkeiten, wie die StudentInnen online fotografisch weiterarbeiten und sich verbinden können.